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Spitalinfektionen – Krankheitserreger auf der Lauer

Eine sogenannte Spitalinfektion (nosokomiale Infektion) ist eine Infektion, die während einer Behandlung im Spital, in einer Praxis, in einer Pflegeeinrichtung, in einer Rehabilitationsklinik oder in der Spitex erworben wird.

Wer sich einer Behandlung unterziehen muss, möchte gesund werden. Leider werden viele Menschen gerade im Spital von Krankheitserregern befallen. Die Verhinderung von Spitalinfektionen ist eine grosse Herausforderung für Ärztinnen, Ärzte, Pflegende und Spitalleitungen. Gefordert ist aber auch die Politik. Sie muss die nötigen Qualitätssicherungsinstrumente und die Einhaltung derselben ermöglichen. Für uns ist das Thema ebenfalls anspruchsvoll, gerade auch in der Prävention. Ob eine Spitalinfektion vorliegt, und ob den Verantwortlichen im betreffenden Spital, in der Praxis oder in der Langzeitpflegeinstitution dafür ein Vorwurf gemacht werden kann, ist häufig schwer herauszufinden. Für die betroffenen Patientinnen und Patienten beginnt mit einer Spitalinfektion jedenfalls oft eine lange Leidensgeschichte. Um damit umgehen zu können, benötigen sie Anteilnahme und Unterstützung.

​Die Ursache ihres Leidens zu kennen, ist für sie und ihre Angehörigen ebenfalls wichtig. Auch wenn sie daraus keine finanziellen Ansprüche ableiten können, erleichtert ihnen das die Verarbeitung des Erlittenen. Eine nosokomiale Infektion kann zwar im ganzen Körper auftreten, aber bei bestimmten Eingriffen und Erkrankungen ist das Risiko deutlich höher. Häufig sind sie insbesondere bei chirurgischen Eingriffe, bei der Einsetzung von Implantaten, Unfallfolgebehandlungen und Wundinfektionen. Je nach Art des chirurgischen Eingriffs können über 20 Prozent der Patienten betroffen sein.
Spitalinfektionen verursachen zunächst einmal unnötiges Leid. Dies vor allem, weil sie zur Grunderkrankung oder zum Eingriff der Patientin unerwartet dazukommen. Hinzu kommen ein finanzieller Schaden, etwa die Kosten für medizinische Folgebehandlungen, zusätzliche Therapien, Hilfsmittel und Unterstützung in der Bewältigung des Alltags, allenfalls ein Erwerbsausfall und der Ausfall der damit verbundenen Sozialleistungen. In gravierenden Fällen muss sogar der Wohnbereich rollstuhlgängig umgebaut werden.
Damit möglichst viele Infektionen verhindert werden können, müssen die Hygienemassnahmen konsequent umgesetzt werden. Das liegt in der Verantwortung des Gesundheitspersonals. Betroffene Personen oder deren Angehörige können jedoch in bestimmten Bereichen Vorsorge treffen, beispielsweise indem sie sich von ihrem Arzt für einen Wahleingriff in ein Spital mit einer tiefen Infektionsrate einweisen lassen, vor dem Eingriff Nutzen und Risiken in Bezug auf Infektionen sorgfältig abwägen oder Warnsignale frühzeitig dem Arzt melden. Denn je früher eine Infektion – beispielsweise bei Prothesen – erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden.

Die folgenden Beispiele zeigen die Vielschichtigkeit der Infektionen, die verschiedenen Erreger (Bakterien) und wo die Grenze der Verantwortlichkeit im Einzelfall zu ziehen ist. Zudem illustrieren die Beispiele, unter welchen Voraussetzungen wir an der Patientenstelle für die betroffenen Patientinnen und Patienten eine Entschädigung aushandeln oder die verantwortlichen Fachpersonen zum Handeln veranlassen können. Nochmals operieren wegen Frühinfekt Herr U. hält sich von Ende August bis Anfang September während einer Woche für eine grosse Rückenoperation im Spital auf. Im Anschluss geht er zur Rehabilitation. Er benötigt zu diesem Zeitpunkt keine Stöcke und ist gleichschrittig mobil, leidet an keinen Lähmungen und kann die Beine problemlos anheben. Die Operationswunde am Rücken sondert allerdings noch Sekret ab. Deshalb verlegen ihn die behandelnden Ärzte der Rehaklinik in ein Zentrumsspital. Dort wird ihm gesagt, dass er wegen einer Frühinfektion an einer Wundheilungsstörung leide und, dass eine Schraube im Rückenmark eine Fehllage aufweise. Mitte September muss er sich einer Revisionsoperation unterziehen, um die Schädigung durch den ersten Eingriff so weit wie möglich zu beheben. Herr U. kann sich mit dem verzögerten und schmerzhaften Heilungsverlauf nicht abfinden und beauftragt uns mit der Abklärung.

Sachverhalt
Im Zentrumspital wurde als erstes die Wundheilungsstörung abgeklärt. Es zeigte sich ein Frühinfekt mit dem Bakterium koagulase-negative Staphylokokken (SKN). Zudem wurde die Fehllage der Schraube im Rückenmark im Computertomogramm festgestellt, was eine Operation notwendig machte. Herr U.’s Leidensweg dauerte lange, bis er schliesslich geheilt war. Kommentar der Patientenstelle Obwohl jede Operation das Risiko einer nosokomialen Infektion in sich trägt, liegt der Verdacht nahe, dass Herr U. im Spital mit dem SKN infiziert worden ist. Die Infektion ist bei ihm einige Zeit nach der Operation aufgetreten, weshalb sie als postoperative Infektionen oder – im internationalen Sprachgebrauch – SSI (surgical site infection) bezeichnet wird. Gemäss Angaben des Vereins Swissnoso verlängert eine SSI einen Spitalaufenthalt um durchschnittlich 7–10 Tage, verdoppelt die Operationskosten und erhöht das Sterberisiko um den Faktor 2 bis 112. Da Herr U. nicht nur an einer Infektion erkrankte, sondern auch unter einer Fehllage einer Schraube litt, welche operativ korrigiert werden musste, konnten wir nicht rechtsgültig beweisen, dass die Ursache für den langen Leidensweg der Infektion zuzuschreiben war. Weil die geringe Aussicht auf Erfolg relativ früh absehbar war, schlossen wir die Angelegenheit ab, ohne Herrn U. zusätzliche Kosten zu verursachen. Geschwächtes Immunsystem – erhöhte Vorsicht! Herr F. muss sich notfallmässig wegen sehr starker Schmerzen einer umfangreichen Rückenoperation unterziehen. Drei Wochen nach dem Erstgespräch wird er von einem Spezialisten für Wirbelsäulenchirurgie operiert. Im weiteren Verlauf hat er erhöhte Entzündungswerte (CRP). Weil die entsprechende Untersuchung der Lendenwirbelsäule weder einen Hinweis auf einen Abszess noch auf eine Entzündung der Bandscheibe und der Wirbelkörper (Spondylodiszitis) ergibt, wird Herr F. zwei Tage später aus dem Spital entlassen. Wiederum zwei Tage später muss er jedoch erneut wegen starker Schmerzen hospitalisiert werden. Dieses Mal wird er in ein ländliches Regionalspital eingeliefert. Dort wird aufgrund seiner Vorgeschichte und erneut hohen Entzündungswerten eine Untersuchung durchgeführt. Jetzt erhält Herr F. die Diagnose einer Entzündung der Bandscheibe mit einer Eiteransammlung auf der Höhe der Lendenwirbelkörper. Umgehend wird er in ein Zentrumsspital verlegt. Es folgtein langer und komplikationsreicher Aufenthalt. Auch Herr F. kann den komplikationsreichen Verlauf nicht nachvollziehen und beauftragt uns mit den Abklärungen.

Sachverhalt
Herr F. erlitt eine Infektion durch das Bakterium Staphy lokokkus aureus. Diese Komplikation gehört zu den häufigsten nosokomialen Infektionen. Das Bakterium befindet sich auf der Haut und es gelingt nicht immer, diese von diesem Keim freizuhalten, sondern nur keimarm. Für Herrn F., dessen Immunsystem geschwächt war, bedeutete das ein erhöhtes Risiko und hatte schliesslich fatale Folgen.

Kommentar der Patientenstelle
Die Operation bei Herrn F. wurde unter sterilen Bedingungen durchgeführt. Davon können wir aufgrund unserer Abklärungen ausgehen. Herr F. hatte als Virusträger ein geschwächtes Immunsystem. Bei diesen Vorbedingungen muss vor jeder medizinischen Behandlung die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko besonders sorgfältig vorgenommen werden. Ob die Nutzen-Risiko- Abwägung vor der Rückenoperation tatsächlich entsprechend vorgenommen wurde, lässt sich zwar annehmen, aber nicht mit letzter Sicherheit feststellen. Die schriftliche Operationseinwilligung von Herrn F. liegt vor, sodass wir dieser Frage nicht weiter nachgehen. Bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem muss besonders sorgfältig geprüft werden, ob das Medikament Cortison verabreicht werden soll, das die Körperabwehr unterdrückt, und ob trotz Cortisoneinnahme eine Operation durchgeführt werden kann. Gemäss Patientendossier wurde diese Abwägung bei Herrn F. sorgfältig vorgenommen und schliesslich entschieden, den Eingriff trotz Cortison durchzuführen. Auch verfügten die behandelnden Ärzte über die nötige Fachkompetenz und waren mit einer Datenbank verbunden, die ihnen eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile der betreffenden Behandlung ermöglichte. Ob Herr F. den Krankheitserreger schon im Körper hatte oder wie und wann er die Infektion erlitten hat, lässt sich nachträglich nicht mehr feststellen. Auf jeden Fall könnten wir den Beweis, dass der Eingriff im Spital der Grund für die Infektion war, nicht erbringen. Gestützt auf unserer Abklärungen und eine Stellungnahme des betroffenen Spitals gehen wir aufgrund der oben erwähnten Begründung nicht von einer – zumindest nicht von einer beweisbaren – Sorgfaltspflichtverletzung aus.

Die Wucht der Diagnose, aus dem Alltag der Patientenstelle, Spöndlin, Ruedi, Ziltener, Erika, Zürich 2015. S. 73ff; Erhältlich an der Patientenstelle Zürich oder im Buchhandel zum Preis von CHF 24.00.

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